Aufgestauter Frust ohne Ventil

Posted on August 25th, 2011, August 25th, 2011 in Uncategorized.

«Olivia» (Pseudonym) reagierte auf mit einem langen Beitrag auf die Kolumne und den Blogbeitrag von letzter Woche («Ist Basel zu dicht besiedelt?»). Es ist nicht der extremste Kommentar einer lebhaften Debatte, die auf www.unserekleinestadt.ch nachzulesen ist. «Olivias» Zeilen zeugen von einer tiefen Frustration: «Viele Quartiere sind nur noch Ghettos, ungepflegt, dreckig und verwahrlost. Diese Verwahrlosung ist eine Seuche, welche die ganze Stadt lahmgelegt hat, sogar die Freie Strasse ist dabei zu verlottern. Es tut einem weh, diesen Verfall der letzten 30 Jahre zu beobachten und gleichzeitig den politischen Unwillen zu sehen, etwas daran zu ändern. (…) Basel muss die Armut, die in ihr grassiert bekämpfen. Das sollte Priorität Nummer eins sein. Armut bekämpfen heisst hierbei nicht, arme Leute zu verstecken, sondern ihnen die Hilfe zukommen zu lassen, dass die Stadt nicht verwahrlost.»

Unter der glatten Oberfläche einer prosperierenden Stadt brodelt es. Opfer des Wandels melden sich zu Wort, einige nur genervt, andere wütend oder resigniert. Was tun?

«Karl» antwortet «Olivia»: «Es ist einiges wahr, was Sie hier schreiben. (…) Es reicht nicht, nur Geld zu verteilen, es braucht Investition in Bildung, nicht in BMWs. Aber von Armut zu sprechen – da würde ich vorsichtiger sein. Es gibt Leute, die ihre Miete nicht bezahlen, und deren Kinder haben dennoch i-Phones in ihren Taschen. (…) Vor allem ist die Gleichgültigkeit erschreckend, wie gegenüber dem eigenen Quartier keine Verantwortung wahrgenommen wird. Da braucht es mehr Durchmischung, und die kann nur vonstatten gehen, wenn bessere Wohnqualität erstellt wird (…).»

Relativierend und zugleich bestätigend schreibt ein weiterer Blogger: «Obwohl ich zu den etwas ‘besseren’ Steuerzahlern gehöre, wohne ich (mit Kindern) im Matthäusquartier. Wenn ich abends vom Ausgang nach Hause zurückkehre, laufe ich dem unteren Rheinweg entlang. (…) Probleme hatte ich nie und ich wohne schon seit Jahren hier. Darüber hinaus war das Matthäusquartier schon immer ein Quartier der einfachen Leute. Früher waren dies die Opfer der Industrialisierung, heute sind es Ausländer (damit wir Schweizer ein Leben im Mittelstand führen können). Und ja, auch ich finde es ein wenig ärgerlich wenn die Bedienung im Restaurant fast kein Deutsch, dafür umso besser Türkisch spricht, Gelfrisuren im tiefer gelegten 3er BMW durch das Quartier düsen und Alkis am Strassenrand rumlungern. (…) Aber wieso erzähle ich Ihnen das alles? Vielleicht sehen Sie ja, dass in Basel vieles übertrieben wird (besonders von den ‘wahren‘ Baslern).»

Unabhängig davon, wo genau die Wahrheit liegt: Die Politik unternimmt zu wenig, um Frustrationen zu verstehen, die sich zumindest verbal ausbreiten. Schon allein diesem tief besorgten Teil der Bevölkerung systematisch ein Ohr zu leihen, wäre ein positiver erster Schritt. Ein regelmässiger Stammtisch am Ort des Geschehens, mit verantwortlichen Behörden, wo Klagen möglich wären, erleichterte das tägliche Zusammenleben, würde die Stimmung in unseren Strassen aufhellen und nicht zuletzt die Stadtentwicklung befruchten.

Ist Basel zu dicht besiedelt?

Posted on August 18th, 2011, August 18th, 2011 in Uncategorized.

Christoph Eymann kündigt auf Schuljahresbeginn Millioneninvestitionen in neue und rundum erneuerte Schulhäuser an. Diese Ausbaupläne des Erziehungsdirektors für mehr Kinder und Tageschulen sind doppelt erfreulich. Denn sie bedeuten, dass Basel berufstätige Eltern anzieht und dass der Kanton in die Bildung investiert.

Die Stadt wächst wieder, jedoch viel zu langsam. Wie trotz Flächenbegrenzung zusätzlich 43000 Menschen, also eineinhalb Mal das «Joggeli», in Basel Platz finden können, schreibt Daniel Wiener im Blog.

Obwohl die Attraktivität für junge Familien ein Zeichen prosperierender Wirtschaft und guter Lebensqualität ist, werden gegen die Bevölkerungszunahme Ängste geschürt. Einzelne Parteien werden im aufkeimenden Wahlkampf versuchen, mit Stimmungsmache, vor allem gegen ausländische Neuzuzüger, aufzutrumpfen. Sie eifern dem Baselbieter Benno Büeler nach, dessen Organisation «Ecopop» mit einer Volksinitiative und ökologischen Argumenten gegen die Zuwanderung kämpft: Neue Einwohner würden die Räume verengen, zum Beispiel auf der Strasse zu Staus und im Tram zu Gedränge führen. Und sie steigerten unseren Energie- und Bodenverbrauch.

Für Städte gilt dies jedenfalls nicht. Im Vergleich mit dem Hüsli-Brei der Peripherie beanspruchen Zentren pro Kopf weniger Boden und bieten kürzere Wege zur Arbeit oder zum Freizeit-Vergnügen. Dichte Städte erlauben es auch, öffentliche Verkehrsmittel rentabel zu betreiben.

Basels Bevölkerung liegt heute bei 170 000, auf gleicher Höhe wie 1945. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs Basel jährlich um 2000 Menschen – bis auf 213 000 im Jahre 1970. Es erscheint fast unglaublich, aber das gleiche Fleckchen Erde bewohnten damals 43 000 oder 25% mehr Bebbi als heute. Im Vergleich zu 1970 sind wir also eher daran zu vereinsamen auf unseren weitläufigen Strassen, Plätzen und Grünanlagen. Hier liegt viel Potenzial brach.

Seit der historische Kompromiss mit den Familiengärtnern die Neubaufläche eng begrenzt, ist die wichtigste Wachstumsalternative Basels eine dichtere Besiedlung bestehender Quartiere. Diese ist nur realisierbar, wenn wir zum Ausgleich sorgfältig umgehen mit dem öffentlichen Raum. Stichworte sind Verkehrsberuhigung, Begrünung und soziale Nutzung.

Verdichtung ruft nach Prioritäten zugunsten von Freiräumen für alle. Für Kinder und Jugendliche, aber auch für die ältere Bevölkerung: Sitzbänke statt Reklameständer in der Innenstadt; Parks statt Parkplätze in Hinterhöfen (parkieren kann man unterirdisch); kleinere und leisere Autos; Märkte als Treffpunkte; Ausbau der Fusswege und Fahrrad-Verbindungen ins grüne Umland. Gestaltungsspielraum öffnet sich an Häfen und Güterbahnhöfen, an Wiese und Rhein. Die renovierte Claramatte weist den Weg zu höherer Nutzungs-Qualität bei unveränderter Fläche. Die einst banale Kreuzung Tellplatz lädt heute an bester Lage des Gundeli zum Verweilen ein.

Was London mit Basel zu tun hat

Posted on August 11th, 2011, August 11th, 2011 in Uncategorized.

Ueli Vischer, heute Präsident zahlreicher gewichtiger Institutionen, initiierte als Basler Finanzdirektor die «Werkstadt Basel». Mit diesem umfassenden Dialogprozess zapfte die Regierung das Erfahrungswissen der Bevölkerung an, um die städtische Lebensqualität zu verbessern. Der Schreibende durfte diesen Prozess mit gestalten. Als Resultat kam 1999 das «Aktionsprogramm Stadtentwicklung» (APS) heraus.

Der Begriff des «guten Steuerzahlers» wurde 1999 erfunden. Damals war Basel von Defiziten und Abwanderung geplagt. Eine Ansiedlungspolitik, die nur noch auf «gute Steuerzahler» zielt, er-schüttern die Grundlagen des Zusammenlebens.

Eine der 180 konkreten APS-Massnahmen, die verwirklicht wurden, war das Projekt «5000 Wohnungen für Basel». Diese sollten innert zehn Jahren realisiert werden, was beinahe gelang. Die Idee des Wohnungsbaus war eine logische Konsequenz aus dem Untertitel der «Werkstadt Basel». Dieser lautete: «Projekt zur langfristigen Sicherung der Steuereinnahmen von natürlichen Personen.» Deshalb war auch Ueli Vischer als Finanzdirektor Projektleiter.

Damals wurde erstmals thematisiert, dass man einen defizitären Staatshaushalt nicht nur mit rigorosem Sparen oder Steuererhöhungen ins Lot bringen kann. Die «Werkstadt Basel» wies einen dritten Weg: Das Anlocken Gutbetuchter durch bessere Lebensqualität in der Stadt. Das war die Geburtsstunde des Begriffs «guter Steuerzahler».

Die Strategie ist auch aus heutiger Sicht noch richtig, aber sie hat Grenzen. Eine Ansiedlungspolitik, die nur noch auf «gute Steuerzahler» zielt, erschüttern die Grundlagen des Zusammenlebens. Wer schöne und teure Logis baut, sollte im gleichen Takt auch schöne und günstige Wohnungen erstellen (oder stehen lassen), und zwar im gleichen Stadtteil, nebenan. Auch die Kinder ärmerer Menschen haben das Recht auf sichere Schulwege und begrünte Spielplätze. Überall, wo das Gleichgewicht im Wohnraum-Angebot fehlt, gibt es in den Schulen fast nur Schweizer oder nur Ausländer. Beides ist schädlich für den Zusammenhalt und die Produktivität einer Stadt.

Bei Novartis oder Roche wird «Diversität» nicht nur gefördert, sondern sie ist Chefsache. Kein Wunder: Sie ist ein Schlüssel zum Erfolg. Das gilt auch für Basel als Stadt. Was – umgekehrt – geschehen kann, wenn sich Gettos bilden, erleben wir gegenwärtig in London. Natürlich ist die Schweiz nicht 1:1 mit Grossbritannien vergleichbar, aber im Kleinen erleben wir täglich ähnliche Gewalt von Unzufriedenen und Unmotivierten.

Eine weitsichtige staatliche Vermietungs- und Liegenschaftspolitik, aber auch die kantonale «Wohnraumentwicklungsstrategie» (das Wort habe nicht ich erfunden) können wesentlich helfen, Diversität zu ermöglichen und sozialen Problemen vorzubeugen, die zum Beispiel entstehen, wenn aus benachteiligten Quartieren alle Schweizer Familien abwandern. Oder in der Innenstadt nur noch Reiche leben. Kurzfristig mag sich das auszahlen. Die Zeche bezahlt die nächste Generation.

Kein schlechter Patriot

Posted on August 4th, 2011, August 4th, 2011 in Uncategorized.

André Mislin, Chef von Coop Nordwestschweiz, ist ein motivierender und erfolgreicher Manager. Auch harte Konkurrenz vermag seine Stirn nicht in Falten zu legen. Sie treibt ihn vielmehr zu Höchstleistungen an. In seiner jahrzehntelangen Karriere als Detailhändler hat er jedoch noch nie eine Herausforderung erlebt, wie sie sich am 1. August im grenznahen Ausland zeigte: BL, BS, BS, LÖ, LÖ, BL, LÖ, BS, BL, BS. So las sich schon morgens um 11 eine willkürlich herausgegriffene Reihe von Autokennzeichen entlang der dicht befahrenen Einkaufsmeile in Weil am Rhein.

Wirtschaftsführer rufen dazu auf, trotz starkem Franken im Inland zu shoppen, um den Schweizer Detailhandel zu stützen. Weshalb das Einkaufen jenseits der Grenze für Basler selbst am Nationalfeiertag kein unpatriotischer Akt ist, erklärt unser Blog.

Vor den Kassen der dortigen Shoppingcenter, Apotheken, Bioläden, Elektrofachgeschäfte, Modeboutiquen, Optiker und Buchhandlungen traten sich am Nationalfeiertag Schweizerdeutsch parlierende Paare und Familien gegenseitig auf die Füsse. Sie kauften üppig ein, zu Preisen, die durchschnittlich 30 bis 40% unter dem Niveau von Basel lagen – bei gleicher Qualität. Viele verlangten eine Ausfuhrbescheinigung. Mit etwas bürokratischem Aufwand lassen sich damit – dank Mehrwertsteuer-Rückerstattung – die Kosten um weitere 10% drücken.

Zur Feier des Tages trugen manche Einkaufstouristen rote T-Shirts mit Schweizerkreuz. Tatsächlich ist kein schlechter Patriot, wer im nahen Ausland einkauft. Ein solcher Schweizer pflegt im Gegenteil die typisch eidgenössische Tugend der Sparsamkeit. Wer seine Kaufkraft mit Hilfe des schwachen Euro aufpeppt, nutzt einen Standortvorteil, der in keinem Regionen-Rating vorkommt: Die Grenzlage vergünstigt nicht nur die Mieten der Baslerinnen und Basler, sondern auch ihren täglichen Konsum. Anders als Einkaufstouristen aus Bern oder Zürich, erreichen sie ihr Ziel bequem in 15 Minuten per S-Bahn, Fahrrad, Bus oder Auto.

Am 1. November kommt dann der Gegenbesuch: Seit Jahrhunderten sind Innenstadt und Herbstmesse an Allerheiligen fest in den Händen unserer katholischen Nachbarn. Auch diese Visiten stärken das Gemeinsame, die wirtschaftliche Verflechtung, das Kennenlernen. So fallen beim Shoppen in Weil nebenbei die Plakate des lokalen Veranstalters www.kieswerk-open-air.de auf. Weshalb nicht einen Katzensprung zu diesem Festplatz wagen, wo allabendlich für 7 Euro ein Kinofilm, Konzerte und Kulinarisches auf dem Programm stehen?

Auch die Basler Zeitung ist übrigens in Deutschland erhältlich: Sie kostet zwei Euro, umgerechnet 2 Franken 20, also 60 Rappen weniger als am Erscheinungsort. Bald heisst es: Für die BaZ rasch nach Binzen. Wir können gespannt sein, was sich André Mislin gegen die Grenzüberschreitungen seiner Kundschaft ausdenkt. In der Zwischenzeit geniessen wir guten Gewissens die schöne Erkenntnis: Preisdifferenzen gehören zu den kleinen Unterschieden, die Völker seit jeher verbinden. Erst recht in der Region Basel.