Wo Zürich (nicht) Basel sein will

Posted on September 29th, 2011, September 29th, 2011 in Uncategorized.

Corine Mauch lancierte in Zürich eine Online-«Stadtdebatte». Fast 4000 Diskutierende folgten diesen Monat dem Aufruf ihrer Stadtpräsidentin und loggten sich in die fünf thematischen «Foren» des Mega-Blogs ein. Die gesetzten Bereiche waren: Bauen, Zürichs Grenzen, «Wie wollen wir zusammenleben?», 2000 Watt Gesellschaft und Mobilität. Eines der zeitweise dominanten Sujets, das aus dem Volk kam, war aber ausgerechnet Basel.

Zürichs Stadtpräsidentin lancierte eine „Stadtdebatte“ und provozierte damit eine Wiedervereinigungs-Diskussion mit umgekehrten Vorzeichen: Was wäre, wenn die Limmatstadt wie Basel als Kanton autonom würde? Das Ergebnis überrascht.

Das hatten die Veranstalter der Diskussion nicht erwartet: Der Vorschlag einer Bloggerin, die Stadt Zürich vom restlichen Kanton abzuspalten und einen eigenen Stand innerhalb der Eidgenossenschaft zu gründen – einen Kanton Zürich-Stadt – löste heftige Reaktionen aus. Der Hintergrund der Idee ist die Frustration darüber, dass der eher SVP-lastige Kanton im links-grünen Zentrum mitregiert. So möchte das Umland die Stadt gerne offen halten für den motorisierten Individualverkehr, während zahlreiche Stadtzürcher Haushalte – wie in Basel – auf ein eigenes Auto verzichten und sich deshalb als Opfer sehen: Sie leiden unter Unfallgefahren, Abgasen, Lärm und verstopften Strassen.

Autonomie statt Automanie postulierte eine ganze Reihe Debattierer. Sie forderten die Abspaltung vom Restkanton, um selbstbestimmt entscheiden zu können. Es waren die Gegnerinnen und Gegner dieser Idee, die Basel ins Spiel brachten. Ihr Hauptargument: Am Beispiel von Basel-Stadt sehe man, wie eine Stadt allein ihren Einfluss auf eidgenössischer Ebene verliere. Diese Meinung gewann schliesslich die Oberhand.

Aus Basler Sicht war es interessant zu verfolgen, wie sehr dieser Gedanke die Gemüter bewegte, obwohl er für Zürich beinahe utopisch klingt. Während wir uns fragen, «was wäre wenn BS und BL fusionierten?», überlegten sich die Zürcherinnen und Zürcher: «Was wäre wenn ZH in Zürich-Stadt (ZS) und Zürich-Land (ZL) zerlegt würde?» Das Ergebnis dieser Wiedervereinigungs-Diskussion mit umgekehrten Vorzeichen war: Auch rot-grüne Autorinnen und Autoren spüren lieber das bürgerlich-bünzlige «Hinterland» im Nacken, als die Zukunft allein bewältigen zu müssen und entsprechend isoliert da zu stehen.

Dieses Signal ist ernst zu nehmen. Während Basel beispielsweise seit bald zehn Jahren an der ersten Durchmesserlinie der S-Bahn (das sogenannte «Herzstück» unter der Innenstadt durch) herumbastelt und sich engräumig über Varianten streitet, ist in Zürich – mit kräftiger finanzieller Hilfe der Miteidgenossen – bereits der Bau der zweiten Durchmesserlinie im Gang. Zurückzuführen ist dies auf die Finanzkraft, den politischen Willen und die Durchsetzungsfähigkeit des Kantons. Corine Mauchs Diskussion zeigte klar: In diesem Punkt möchte Zürich nicht mit uns tauschen.

Standortvorteil starker Franken

Posted on September 22nd, 2011, September 22nd, 2011 in Uncategorized.

Peter Malama ging unter die Demonstranten. Zunächst lancierte der Gewerbedirektor am basel-städtischen Gewerbetag, vor 650 Gästen in der Markthalle, Appelle an Politik, Gewerkschaften und Konsumenten. Seine Sorge galt dem Basler Detailhandel. Dieser leidet unter der Frankenstärke. In erster Linie wiederholte der Nationalrat Forderungen seiner Freisinnigen Partei, zum Beispiel nach Gewinnsteuersenkungen. Und er bat das Volk, zuhause einzukaufen.

Gewerbedirektor Peter Malama protestiert gegen den Einkaufstourismus. Doch seine Argumente (Bild: Ausriss von Gewerbeverband-Flyer) greifen zu kurz. Unter dem Strich profitiert die Region Basel von der Frankenstärke.

Am darauf folgenden Samstag verteilte Malama, in Anwesenheit herbestellter Medien, am Grenzübergang Riehen Richtung Lörrach Flugblätter an Auto fahrende Schweizerinnen und Schweizer. Er wollte die potenziellen Einkaufstouristen über die Folgen ihres Tuns aufklären.

Es ist unbestritten, dass die Umwelt leidet, wenn jemand Dutzende von Kilometern mit dem Auto zum Einkaufen fährt. Das Argument ist Malama, der sich traditionell für ökologische Anliegen einsetzt, abzunehmen. Wenn er auch gegen den seit Jahrzehnten florierenden Tanktourismus in die Schweiz protestiert hätte, wäre die Aktion noch glaubwürdiger gewesen.

Es ist auch richtig, dass der Basler Detailhandel leidet. Alle anderen Argumente des umtriebigen Politikers gelten vielleicht für das Mittelland, nicht aber für Basel und Umgebung. Wir profitieren hier vielfach vom harten Franken. Denn die Metropolitanregion bildet einen integrierten, grenzüberschreitenden Wirtschaftsraum:

Zum Beispiel der Werkplatz: Die hiesige Wirtschaft produziert billiger, weil sie Grenzgängerinnen und Grenzgängern tendenziell tiefere Löhne bezahlt. Ein Arbeitsplatz in der Schweiz bleibt für diese Pendler dank günstigen Wechselkursen dennoch attraktiv.

Zum Beispiel die Mieten: Da Haushalte ins billigere Elsass und nach Südbaden ausweichen können, bleiben die Mietpreise moderat, rund 500 bis 1000 Franken unter Zürcher und Genfer Niveau. Das gesparte Geld kommt zum Teil dem Detailhandel zugute.

Zum Beispiel beim Einkaufen: Wer über die Grenze fährt (was auch per Fahrrad oder Zug möglich ist), streckt sein Einkommen und kann mehr sparen oder sich mehr leisten.

Zum Beispiel die Volkswirtschaft: Unabhängig davon, ob ich in Basel oder Lörrach einkaufe, bleibt mein Geld im Wirtschaftskreislauf der Region. Die Familie des Deutschen Velohändlers gibt ihr Geld hier aus, nicht anderswo. Wenn Luzernerinnen oder Berner nach Hüningen einkaufen kommen, profitiert Basel mit. Es ist, als ob wir eine Freihandelszone geschaffen hätten, um den Regionalen Detailhandel anzukurbeln.

In letzter Konsequenz müsste Peter Malama, statt an der Grenze Flugblätter zu verteilen, bei Konsumentinnen im Mittelland dafür werben, lieber Lörrach anzusteuern, anstatt Waldshut oder Konstanz. Das wäre echte regionale Wirtschaftsförderung.

Das Museum der Kulturen sind wir

Posted on September 15th, 2011, September 15th, 2011 in Uncategorized.

«Lolo» (Pseudonym) reagierte besorgt, nachdem er die Kolumne und den Blogbeitrag von letzter Woche («Basels neustes Kunstmuseum») gelesen hatte. Das frisch herausgeputzte Haus der Kulturen wolle «kein Museum mehr sein, das den menschlichen Umgang mit den natürlichen Ressourcen thematisiert». Dabei könnten «menschliche Gesellschaften aus dem Leben vergangener Kulturen Lehren ziehen».

Weshalb sollen wir uns für versunkene Inka-Kulturen interessieren, während wir unseren mazedonisch-albanischen Nachbarn kaum kennen? Fremde Sprachen, Sitten und Gebräuche, zum Beispiel heutiger Chinesen, erleben wir vor der Haustür und bei der Arbeit (Bild: Mondfest auf dem Münsterplatz).

Diese Stellungnahme ist Teil einer heftigen, über weite Strecken lesenswerten Debatte auf www.unserekleinestadt.ch. Manche Beiträge gehen so weit, die neuen Schauräume wegen «inhaltlicher Leere» gleich wieder schliessen zu wollen. «Klicki» (Pseudonym) etwa, stört sich daran, «dass von der riesigen Sammlung indigener Kult- und Kunstgegenstände so gut wie nichts mehr zu sehen ist».

Es wäre eine interessante Diskussion, unter welchen Bedingungen wir von anderen Kulturen durch Vermittlung über ein Museum tatsächlich lernen können, wie «Lolo» vorschlägt. Zu diesem Zweck müssten wir mit diesen Kulturen in einen Dialog treten, was etwa im Falle der verstummten Völker Altägyptens unmöglich ist. Ihre Artefakte können uns zwar erbauen. Als Gesprächspartner stehen aber höchstens die vermittelnden Experten zur Verfügung.

Als die Basler Museen entstanden, war die Bevölkerung verhältnismässig homogen. Die Besucher wünschten sich die Begegnung mit dem Fremden, dem Befremdlichen auch und damit die Relativierung ihres eigenen Standpunkts. Kinder träumten sich in ferne Länder. Heute müssen wir keinen Eintritt mehr bezahlen, um interkulturelle Erfahrungen zu sammeln. Vor unserer Haustür und bei der Arbeit erleben wir die Vielfalt von Sprachen, Sitten und Gebräuchen, zum Beispiel heutiger Chinesen. Der Unterschied von Tschador und Burka ist gar zum Politikum geworden. Weshalb sollen wir uns mit versunkenen Inka-Gesellschaften auseinandersetzen, während uns das Kennenlernen unseres mazedonisch-albanischen oder angolanischen Nachbarn zuweilen schwer fällt?

Wir leben und sind das Museum der Kulturen. Manche Menschen empfinden die ethnologische Konfrontation im Alltag als bereichernd, andere als bedrohlich. Das neue Ausstellungshaus ist Basels grösstes Integrationsprojekt: Es sollte uns ermöglichen, das Fremde einzuordnen, zu verstehen, allenfalls auch uns abzugrenzen oder davon zu lernen. Ein interkultureller Dialog könnte mithelfen, unsere Identität als Stadt und in der Stadt weiter zu entwickeln.

Die Aufgaben eines modernen Museums der Kulturen sind somit aktueller denn je. Sie rechtfertigen auch die Investition öffentlicher Gelder. Wenn Direktorin Anna Schmid auf Methoden der Kunstvermittlung zurückgreifen möchte, ist das in Ordnung. Aber den Zweck und das Konzept dahinter, sollte sie uns nicht vorenthalten.

Basels neustes Kunstmuseum

Posted on September 8th, 2011, September 8th, 2011 in Uncategorized.

Anna Schmid hatte am Dienstag dieser Woche einen guten Tag. Mit einem Glas in der Hand nahm die Direktorin reihenweise Gratulationen entgegen, für ihr neu eröffnetes Museum der Kulturen («MuKu»). Das Wetter spielte mit, weshalb sich das Vernissagen-Volk unter freiem Himmel im Hof und auf dem Münsterplatz zusammenrottete. Jung und alt zirkulierte ab und an in den neuen Räumen und Ausstellungen.

Das Museum der Kulturen ist das neuste Basler Kunstmuseum. Weitere werden folgen. Und das ist gut so. Basel muss sich auf seine Stärken konzentrieren.

Ein zufällig herausgegriffener Internet-Auftritt eines Hotels präsentiert den Gästen das «MuKu» wie folgt: «Das Museum der Kulturen ist ein traditionsreiches Völkerkundemuseum am Münsterplatz in Basel. Es gilt als grösstes ethnologisches Museum der Schweiz. Der Kanton Basel-Stadt ist Träger des Museums, welches rund 300 000 Objekte sowie ebenso viele historische Fotografien beherbergt. Die Sammlung umfasst Objekte aus Europa, Altägypten, Afrika, Asien, Altamerika und Ozeanien, darunter ein mehr als 10 Meter hohes Kulthaus der Abelam in Papua-Neuguinea.»

Viele kamen zum Staunen nicht heraus: Von den im Internet beschriebenen, epochalen Sammlungen, die bis vor wenigen Wochen die Szene im damals heruntergekommenen Bau dominierten, ist fast nichts mehr zu sehen – mit Ausnahme des nach wie vor dominanten Abelam-Zeltes, das beinahe schon Nostalgie-Gefühle weckt. Fast alle restlichen 599 999 Artefakte schlummern – wohlbehütet, nehme ich an – in Kellern und Lagern.

Schon immer konnte das Museum nur einen Bruchteil seiner Sammlung zeigen. Jetzt ist es noch weniger – ganz bewusst. Die Inszenierung ist minimalistisch, intellektuell anspruchsvoll und äusserst gelungen. Die Besucherin, der Besucher ist Teil der Ausstellung, wird in der Auseinandersetzung mit den Inhalten – in den Worten der Direktorin – «auf sich selbst zurückgeworfen». Genau darauf zielt jedes gute Kunstmuseum ab – seine Werke sollen provozieren, unser ästhetisches Empfinden ansprechen und beeinflussen, uns einen neuen, verdichteten Blick auf die Welt und den Alltag öffnen. Dies ist beispielsweise in der «Muku»-Ausstellung über Chinatown exemplarisch zu erleben.

Somit wurde am Dienstag in Basel ein neues Kunstmuseum eröffnet – und das ist gut so. Eine kleine Stadt wie Basel kann nicht alles. Die Fokussierung auf Kunst ist sinnvoll. Das Antikenmuseum ist unser Museum der antiken Kunst. Das historische Museum ist ein Museum, das die Basler Geschichte neu aufarbeiten und auch aktualisieren sollte – warum nicht mit dem neuen Ansatz des Museums der Kulturen? Selbst das naturhistorische Museum könnte sich von dieser Idee inspirieren lassen. So wird Basel aus der Europa- in die Weltliga der Kunstplätze aufsteigen. Anna Schmid konnte sich dem Sog der Kunststadt nicht entziehen – die Bevölkerung wird ihren innovativen Ansatz zunächst skeptisch und langfristig begeistert mittragen.

«Man darf aus Fehlern lernen»

Posted on September 1st, 2011, September 1st, 2011 in Uncategorized.

Mathis Güller, ein nicht mehr ganz junger Zürcher Jungarchitekt, der auch in den Niederlanden tätig ist, wurde kürzlich gefragt: Was können Holländische Planer, die soeben den Wettbewerb für die Gestaltung der Basler Innenstadt gewonnen haben, besser als ihre Schweizer Kolleginnen und Kollegen? Die Antwort war verblüffend einfach: «Das niederländische Masterplan-Denken funktioniert anders. Man darf auch während der Realisierungsphase aus Fehlern lernen.» Sollten diese Eigenschaft tatsächlich auf Basel abfärben, können wir uns freuen.

Würde das Erlenmatt-Quartier tatsächlich so realisiert, wie es vor über zehn Jahren geplant wurde, wäre es bald schon antiquiert. Basel muss seine Planungskultur überdenken und weiter denken.

Zum Beispiel auf der Erlenmatt: Erste Häuser sind gebaut in diesem neuen Quartier und der Park ist in Ansätzen erkennbar. Ganz wohl ist es der Stadt und der Nachbarschaft aber nicht mit dieser neuen Wohnmaschine auf dem ehemaligen «DB-Areal». Die Vorstellung, dass es jetzt in diesem Stil weiter gehen könnte, mit weiteren dunklen, anonymen Wohnblocks und bloss spärlichen öffentlichen Parterre-Nutzungen, verspricht wenig Gutes.

In harten Verhandlungen haben der Kanton und die Deutsche Bahn als Grundeigentümerin auch vereinbart, dass ein kleiner Teil des Bauvolumens leicht überdurchschnittlichen Energiespar-Grundsätzen genügen sollte. Das entsprechende Baufeld ist noch nicht einmal definiert, und schon bläst der Zeitgeist dieser Planung um die Ohren: Der Ausstieg aus der Atomenergie ist eine ausgemachte Sache, die Massstäbe für soziales und ökologisches Bauen haben sich radikal gewandelt, in Zürich und Bern entstehen soziale Siedlungen – Stichwort «Mehr als Wohnen» – sowie ganze Öko-Quartiere für autofreie Haushalte. Und in Basel?

Würde das Erlenmatt-Quartier tatsächlich so realisiert, wie es vor über zehn Jahren geplant wurde, wäre es bald schon antiquiert. Wir müssten es unter Heimatschutz stellen – als Denk- und Mahnmal für die klotzende Baukultur der 90er Jahre. Dasselbe Schicksal droht auch dem Dreispitz – einem Filetstück der Basler Stadtentwicklung. Hier gilt ebenso: Was vor kurzem noch als progressiv galt – etwa der flächendeckende Minergie-Standard – ist heute schon Selbstverständlichkeit und muss überdacht und weiter gedacht werden. Vielleicht ist auch beim neuen Kinderspital oder auf der Schorenareal der Zug noch nicht abgefahren.

Basel ist sehr darum bemüht, den Wohnungsbau anzukurbeln. Das ist sinnvoll, darf aber nicht auf Kosten der Zukunftsfähigkeit gehen. Manchmal gilt das Augenmerk auch der guten Architektur. Das ist löblich. Aber Stadtentwicklung ist weit mehr. Es geht darum, Orte mit Identität zu bauen, nicht nur Häuser. Experimente zu wagen. Menschen für Basel zu begeistern. Das an dieser Stelle schon mehrfach angesprochene Thema der Dichte bedeutet nicht immer, enger zu bauen. Dichte lässt sich auch mit Wohnkonzepten verwirklichen, die bewusst etwas weniger Quadratmeter Wohnfläche pro Person zur Verfügung stellen, auch etwas weniger Strassen, dafür mehr Gemeinschaftsräume, Grün und Spielorte.