Eine Stadt, die Zeit hat

Posted on December 29th, 2011, December 29th, 2011 in Uncategorized.

René Kamm bedauert, dass Basel zu wenig attraktiv sei für Konsumorientierte. Insbesondere kritisiert der Messechef Strukturmängel im Angebot. Was er damit meint, ist die Schwierigkeit, die Stadt als Einkaufstourist zu verstehen.

Basel ist die am wenigsten gestresste Stadt der Schweiz. Eine Stadt, deren Geflecht unverplante Zeit für persönlichen Austausch freisetzt, ist sozial stabiler, kulturell aktiver und politisch dynamischer. So kommen Ideen in die Welt.

Tatsächlich ist die Orientierung für Ortsfremde nicht einfach. Luxusangebote funkeln bloss verhalten. Billigmeilen platzieren sich an unerwarteter Stelle – zum Beispiel an der Clarastrasse. Wer Spezielles, etwa Kunst, Möbel oder einen Computer sucht, muss jeweils Eingeweihte nach der angesagten Adresse fragen. Basel ist als Einkaufsstadt verwirrend. «Glatti, glaini Läädeli» beispielswiese, liegen überall verstreut: An der Feldberg- und Güterstrasse, in der Rheingasse oder in den Vorstädten Richtung St. Johann-, St. Alban- und Spalentor.

Der gehetzte Besucher globaler Messen verlöre viel wertvolle Zeit, wollte er alle diese Orte abklappern. Effizienter erschliesst sich ihm das Konsumangebot mit einem Katzensprung an die Zürcher Bahnhofstrasse: Dort reihen sich die begehrten Gucci-Gadgets und Armani-Accessoires umstandslos auf. Und in Seitengassen lauern, Begleitfischen ähnlich, die persönlicheren Geschäfte. Geradezu bedrohlich wirkt dieses wohlformierte Verkaufs-Geschwader auf den versprengten Haufen des Basler Detailhandels.

Dass René Kamm dies beklagt, ist nachvollziehbar. Aber ist es auch schlimm? Schauen wir die Geschichte zum Jahresende von einer anderen Seite an: Es ist doch erfreulich, dass Basel trotz zunehmendem internationalem Erfolg sich selbst bleibt. Unsere Vielvölkerstadt ist facettenreich statt nur oberflächlich zugänglich. Sie taugt für eine Langzeit-Beziehung, ohne je langweilig zu sein. Wer sich auf das Profil dieser Polis einlässt, bekommt ein grosses Geschenk: Mehr Zeit.

Diesen Monat erschien eine Umfrage, die nachwies, dass Basel die am wenigsten gestresste Stadt der Schweiz ist. Das kann gut mit der gemässigten Konsumorientierung zu tun haben. Wer bedächtig einkauft, achtet auf Qualität, spart mehr, verschuldet sich weniger und muss auch weniger arbeiten. Der Sparbatzen vermittelt Sicherheit.

Von der Stressarmut profitieren die tollen Cafés und Konditoreien: Dort setzen sich entspannte Stadtbummler hin, wenn sie sich spontan begegnen und gemeinsam den Augenblick geniessen wollen. Eine Stadt, deren Geflecht unverplante Zeit für persönlichen Austausch freisetzt, ist sozial stabiler, kulturell aktiver und politisch dynamischer. So kommen Ideen in die Welt.

Basel ist überdies eine Stadt der kurzen Wege, des Fahrrades und des Trams. Auch damit sparen wir täglich wertvolle Minuten und Stunden, sei es beim Pendeln oder in der Freizeit. Halten wir es im neuen Jahr weiterhin so. Und für den Konsum ist trotzdem alles da. Fragen Sie im Zweifel einen Nachbarn.

1 Bild sagt mehr als 1000 Worte

Posted on December 22nd, 2011, December 22nd, 2011 in Uncategorized.

Der Messerstecher aus dem geschmacklosesten Inserat, das die SVP je geschaltet hat, ist 20 Jahre später auf der Titelseite der BaZ (vom letzten Dienstag) angelangt. Zum Frühstück wird die Rest-Leserschaft von drei Kapuzenträgern begrüsst, die offensichtlich einer kriminellen Bande angehören. Die Gewaltbereitschaft signalisierenden Figuren sind düster und unscharf abgebildet. Der optische Focus liegt im Vordergrund, auf einem nach oben gerichteten, blitzenden Stellmesser. Ein drohend blickender junger Mann streckt es in krampfhaft geballter Faust dem Betrachter entgegen.

Der Messerstecher aus dem geschmacklosesten Inserat, das die SVP je geschaltet hat, ist auf der Titelseite der BaZ (vom letzten Dienstag) angelangt. Wie hat Basel das verdient?

Über diesem Aufmacher-Foto steht die Schlagzeile: «Bei der Sicherheit schneidet Basel schlecht ab.» Im Frühjahr 1992, beim Messerstecher-Inserat der SVP, lautete der Titel: «Das haben wir den Linken und den Netten zu verdanken.» Auch damals spielte die Blocher-Partei auf die allgemeine Sicherheitslage an. Zugleich versuchte sie, ihren politischen Gegnern den spektakulären Mordfall von Zollikerberg in die Schuhe zu schieben.

Wenn der jüngste Messerstecher-Missgriff die Zukunft der führenden regionalen Zeitung darstellt, dann hat sie wirklich keine Zukunft. Denn Basel akzeptiert den SVP Zürich Stil nicht. Vielleicht erschien die Foto auf Anordnung eines Chefs in dieser Form. Oder es handelte sich um einen Fall vorauseilenden Gehorsams gegenüber dem Financier im Hintergrund. Egal. Harmlos ist es in keinem Fall, auch wenn nun wohl gespielt-naiv argumentiert wird: Es ist doch nur ein Bild, und der Text ordne das ganze ein, genüge mithin allen journalistischen Grundsätzen. Genau darin liegt das Perfide: «1 Bild sagt mehr als 1000 Worte», lernt jeder Journalistenschüler rund um den Globus.

Entscheidend ist der Kontext: Die Bedrohungslage (optisch) aufzuheizen ist eine bewährte Technik, um Menschen zu verunsichern und nach totalitären Lösungen rufen zu lassen. Dies passt zur Rhetorik im Umfeld der jüngsten BaZ-Wirren: Christoph Blocher fühlt sich von der Kritik an seiner Heimlichtuerei rund um die Besitzverhältnisse dieser Zeitung an die «Judenverfolgung» erinnert. Diese Aussage war ein gravierender Fehler. So lange er sich für diesen schrägen Vergleich nicht entschuldigt, ist die anschwellende Feindseligkeit gerechtfertigt, die ihm in seiner Rolle als «BaZ-Retter» entgegen schlägt. Die Debatten scheinen nie mehr abzureissen.

Wann – endlich! – geht dieses Drama zu Ende, das mit der unseligen Fusion von «National-Zeitung» und «Basler Nachrichten» vor bald 40 Jahren ihren Anfang nahm? Basel hat qualitativ hochstehende, dem städtischen Geist entsprechende, starke, witzige und intellektuell herausfordernde Medien verdient. Trotz neu aufblühender «Vielfalt» sind wir weiter davon entfernt denn je.

Tettamantis Testament

Posted on December 15th, 2011, December 15th, 2011 in Uncategorized.

Tito Tettamanti ist zurück. Als ehemaliger und neuer Besitzer der Basler Zeitung beherrscht er die wichtigste publizistische Stimme der Region. Der Deal wurde in Zürich angekündigt. Und der neue Eigner heisst weder Sarasin noch von der Mühll, weder Liechtenhan noch Burckhardt, weder Merian noch Vischer und schon gar nicht Faesch.

Dass die Basler Zeitung zeitweise an Christoph Blocher fiel, ist ein Schwächezeichen des Basler Grossbürgertums. Mit seiner wiederholten Übernahme der BaZ sendet Tito Tetta-manti (Bild) eine wichtige Botschaft vom Ticino an den Rhein.

Stolze Namen – Schall und Rauch. Das Basler Grossbürgertum hat sich aus dem Wirtschaftsleben mit wenigen Ausnahmen verabschiedet und betätigt sich vorwiegend (und verdienstvoll) mäzenatisch. Die Sarasin-Bank: Verkauft nach Holland und jetzt nach Brasilien. Der Bankverein: Verscherbelt nach Zürich. Die Maschinenfabrik Burckhardt: Transferiert nach Winterthur. Novartis und Syngenta – geführt von US-Amerikanern, im Besitz der ganzen Welt. Die BaZ – ein Tessiner Blatt, dessen Präsident, CEO und Chefredaktor aus Zürich und dem Aargau stammen. Wollte es denn hier niemand haben?

Auch in der Politik taucht das klassische Basler Bürgertum bloss noch sporadisch auf. Intakt ist hingegen das Engagement der Kader kleiner und mittlerer Unternehmen. Der Freisinn und die CVP überleben knapp dank einer kleinbürgerlichen Basis, die den Karren mit viel Idealismus und Fasnachtsgeist zieht.

Basel ist trotz alledem eine vitale, weltoffene Stadt, die investiert und Investoren anzieht. Die feiert und festet. Die Sport und kulturelle Blüten treibt. Aber ein Bürgertum, das den öffentlichen Diskurs prägt und trägt, das die Richtung vorgibt und Prioritäten setzt, sucht man vergeblich. Links-grün hat diese Rolle übernommen, ohne sie ganz auszufüllen. Der Mehrheit mangelt es an Machtbewusstsein und Mut. Wären wirklich die Parteiprogramme der Sozialdemokraten und der Grünen ihr Massstab, würde Basel ganz anders aussehen.

Eine profilierte Politik gedeiht nur, wenn sie sich reiben kann. Aber Links-Grün sucht vergeblich nach einem starken, herausfordernden Gegenüber. Selbst die Anti-Blocher-Bewegung von «Rettet Basel!» blieb in der laufenden, turbulenten Woche seltsam blass. Die Gründe der Abstinenz sind mannigfaltig: Müdigkeit und Sattheit, die Grenzlage sowie die Kantonstrennung, die einen Teil des Baselbieter Bürgertums von der städtischen Politik fernhält.

Es fehlt an allen Ecken und Enden die kritische Masse. Nur wenn Basel seine Grenzen sprengen kann, sei es dank Metrobasel, mithilfe der Internationale Bauausstellung IBA oder durch Zusammenarbeit mit anderen Kantonen, kommt die Region wieder zu Kräften. Und sie könnte ihre Wirtschaft wieder etwas mehr in die eigenen Hände nehmen.

Das ist Tito Tettamantis Testament und Botschaft: Gewisse strategische Trümpfe wie die Medien, aber auch die grossen Industriebetriebe, den Verkehr und die Finanzwirtschaft kann man nicht ganz den anderen überlassen, ohne einen Standort mittelfristig zu gefährden.

Wohlstand dank Klimaschutz

Posted on December 8th, 2011, December 8th, 2011 in Uncategorized.

Klimaleugner oder Klimaskeptiker heissen seltsamerweise Menschen, die in Abrede stellen, dass es eine Klimaerwärmung gibt. Während Klimakonferenzen – wie gegenwärtig in Durban – haben die Klimaleugner Hochkonjunktur. Neben dem harten Kern der Klimaleugner, die jede Erwärmung abstreiten, gibt es noch zwei Unterarten: Jene, die zwar eine potenziell katastrophale Erwärmung erwarten, diese aber als natürliche Schwankung interpretieren. Sowie jene, die ebenfalls an eine Erwärmung glauben, sie aber als harmlos betrachten.

Wer heute den unvermeidbaren Umstieg aus der fossilen Vergangenheit in die erneuerbare Zukunft wagt, der positioniert sich in lukrativen Märkten. Die Solar-Stadt Basel weist den Weg.

Die Delegierten der Klimakonferenz COP 17 in Südafrika gehen hingegen davon aus, dass es die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung gibt. Sie diskutieren Massnahmen, um den Untergang von Inseln, die Häufung von Überschwemmungen, das Abschmelzen der Gletscher und viele andere Gefahren zu bannen. An dieser unheilvollen Perspektive ändert auch eine allfällige wirtschaftliche Flaute nichts. Sie verzögert höchstens den Prozess, weil die Menschen weniger konsumieren und damit auch weniger Treibhausgase entstehen.

In der Krise fragen sich hingegen manche, ob wir uns den Klimaschutz noch leisten können. Da fallen die Argumente der Klimaleugner auf besonders fruchtbaren Boden. Es könnte ja sein, dass alle Anstrengungen umsonst weil überflüssig sind. Es wäre fahrlässig, dies zu glauben. Selbst wer Zweifel hegt an der Korrektheit der wissenschaftlich abgestützten Voraussagen, müsste die Investitionen in den Klimaschutz als Risikominimierung und Schutzschild akzeptieren. Bei der gegenwärtigen Datenlage ein Klimaexperiment im globalen Massstab zu wagen, wäre unverantwortlich.

Deshalb ist es richtig, dass Basel-Stadt den Weg zur 2000 Watt Gesellschaft und den Ausstieg aus der fossilen Energie systematisch weiter geht. Zum Beispiel indem das Amt für Umwelt und Energie dieser Tage eine Internet-Applikation lanciert, welche es jedem Hausbesitzer erlaubt nachzuschauen, ob sich eine Solaranlage auf dem Dach auszahlen würde.

Noch einen Schritt weiter geht jedoch die Chinesische Regierung. In einer Präsentation in Durban legten deren Funktionäre dar, weshalb China so oder so den Weg der «low carbon economy» (etwa: kohlenstoffarme Wirtschaft) gehen wird: «Wir können uns gar nichts anderes Leisten. Wenn wir Wohlstand für alle wollen, ohne die Umwelt und Ressourcen zu zerstören, sind wir gezwungen, mit dem Klimaschutz ernst zu machen», sagte der Leiter der einflussreichen Nationalen Reform- und Entwicklungskommission Chinas.

Dahinter verbirgt sich noch eine andere Logik: Wer heute den unvermeidbaren Umstieg aus der fossilen Vergangenheit in die erneuerbare Zukunft wagt, der positioniert sich in lukrativen Märkten. Eines Tages werden die Basler selbst in Zürich Solardächer montieren und Strom ins Netz einspeisen.

Demokratieverständnis: Null

Posted on December 1st, 2011, December 1st, 2011 in Uncategorized.

Thierry P. Julliard, Sekretär des Vereins Fümoar, nervt. Eigentlich wollte ich auf das Thema nicht mehr zurück kommen. Aber das ständige Gerede vom «knappen» Abstimmungsresultat, das die Basler Bevölkerung dazu verpflichten sollte, das Rauchen in Restaurants doch noch ein wenig zu tolerieren, ist nicht tolerierbar. Dieser Diskurs versucht, einen der wichtigsten Grundsätze unserer Demokratie auszuhebeln: das Akzeptieren von Mehrheitsentscheiden.

Nach dem System von Fümoar-Sekretär Thierry P. Julliard (rechts, hier mit Fümoar-Präsident Mario Nanni) würde ab sofort jeder Volksentscheid basierend auf dem Verhältnis der annehmenden und ablehnenden Stimmen nachverhandelt. Dies wäre unerträglich. (Foto Henry Muchenberger)

Natürlich könnte man zum Beispiel verlangen, dass eine Initiative erst dann als angenommen gilt, wenn neben einer Ja-Mehrheit an der Urne mindestens ein Drittel der Berechtigten zustimmen. Das haben wir soeben im Bundesland Baden-Württemberg im Zusammenhang mit «Stuttgart 21» erlebt. Wir wissen auch, woher das Deutsche Misstrauen gegenüber Volksentscheiden kommt: Aus der Weimarer Republik, wo eine unreife Demokratie schliesslich in eine Diktatur des Faschismus mündete. In Basel gelten immer noch andere Gesetze.

Wenn nun Mehrheitsentscheide hierzulande mit dem Argument des «Zufallsmehrs» in Frage gestellt werden, wenn Thierry P. Julliard in der BaZ vom letzten Dienstag sogar ausdrücklich den Vergleich mit der «Hexenverfolgung» zieht, dann ist das nicht nur schlechter Stil, sondern gehört deutlich und öffentlich widersprochen. Zumal auch Tages-Woche Co-Chefredaktor Remo Leupin in seinem Abstimmungskommtentar fast gleichlautend eine angebliche «Hexenjagd» auf Raucher beklagt.

Wissen Julliard und Leupin überhaupt, was die Hexenverfolgung war? Zufällig sähe auch Toni Brunner Bundesrätin Widmer-Schlumpf am liebsten «auf dem Scheiterhaufen». Dieser Fehltritt kostete ihn in St. Gallen viele Stimmen stramm bürgerlicher Wählerinnen und Wähler. Julliard gibt noch eins drauf, indem er zusätzlich die «Christenverfolgung» bemüht und düster von «später noch Weiterem» spricht.

Wären knappe Entscheide nach der Methode Julliard abgehandelt worden, hätten wir heute zum Beispiel nur eine halbe Nordtangente. Diese war seinerzeit in der Volksabstimmung von Basel abgelehnt worden, kippte aber durch das Votum von Riehen und Bettingen in eine knappe Annahme. Als das Stimmvolk in den 70-er Jahren mit ein paar Dutzend Stimmen Unterschied die heftig umstrittene Renovation von 40 staatseigenen Altstadt-Liegenschaften bewilligte, wurden auch nicht bloss 20 Häuser umgebaut, sondern selbstverständlich alle (und sogar noch weitere), obwohl bei dieser Vorlage ein «Kompromiss» praktikabler gewesen wäre als bei einer Stadtautobahn.

Nach dem System Julliard würde ab sofort jede Entscheidung nach den Proportionen der annehmenden und ablehnenden Stimmen nachverhandelt. Dies wäre unerträglich. Wer so argumentiert, dem geht jedes Demokratieverständnis ab.