Velostadt jetzt!

Posted on July 26th, 2012, July 26th, 2012 in Uncategorized.

Das Sommertheater um die Verzögerung der Mietvelostationen in Basel ist nur die Spitze des Eisbergs. Es ist das (vorläufig) letzte Kapitel eines Trauerspiels, das in eine vertane Chance münden könnte.

Basel war, was Veloförderung betrifft, einmal europäische Spitze und fand weltweit Beachtung. Dann begannen uns andere Städte um die Ohren zu radeln. Noch ist die Velostadt aber nicht verloren. (Bild: Keystone)

Es war einmal die Velostadt Basel. Fahrradfahren war schon in den 70er-Jahren populär, selbst unter Regierungsräten und Firmenchefs. Kurz darauf gab es erste Kredite zum Ausbau der Radwege und –spuren. Das Veloparking am Bahnhof SBB – obwohl von Anfang an zu klein geraten – war in seiner Art eine Pioniertat. Käufer von E-Bikes erhielten während über einem Jahrzehnt staatliche Zuschüsse.

Das kommt nicht von ungefähr, hat doch Basel alle erdenklichen Vorteile für Velos: Vorwiegend flaches Gelände, breite Hauptstrassen, mildes, relativ regenarmes Klima und Mitnahmemöglichkeiten von Fahrrädern in Bus und Tram.

Dann begannen andere Städte Basel um die Ohren zu radeln. Sie entdeckten das Velo als Verkehrsträger und bauten die Radwege systematisch aus. An neuralgischen Stellen wurden besondere Sicherheitsvorkehrungen für Fahrräder eingeplant, während in Basel die meisten Velostreifen genau dort enden, wo es für Zweiräder gefährlich wird. Grüne Welle für Velos? In Kopenhagen Alltag, bei uns unbekannt! E-Bike Sharing? In Zürich bald Realität, in Basel ein Fremdwort! Veloverleih? In den Kinderschuhen!

Veloparkfelder wurden in den letzten Jahren höchstens punktuell vermehrt, öfter vergessen und sind heute teilweise hoffnungslos überstellt. Von hindernisfreien Fernverbindungen in die umliegenden Täler träumen wir noch, während andere Städte Langstrecken-Radpendlern mit «Veloautobahnen» den roten Teppich auslegen. Bei Schneefall werden diese Trassen als erste gepflügt. Muss Basel einmal pflügen, liegt der Schneematsch mancherorts tagelang auf den Velostreifen.

Die Gründe für die weltweite Velo-Euphorie sind offensichtlich: Weniger Umweltverschmutzung, gesund bewegte Bevölkerung, Entlastung des individuellen motorisierten und des öffentlichen Verkehrs, bessere Klimabilanz. Und es kommt erst noch billiger, sowohl für den Staat als auch für Firmen und Private.

Als eine global beachtete Erfolgsgeschichte der Stadtplanung und Tourismus-Magnet ist das Thema Velostadt geeignet, wie kein anderes. Sowohl in Paris als auch in Berlin wird jede Fremde sofort darauf aufmerksam gemacht, wie toll das Angebot für Fahrräder sei (in der Realität zeigen sich erste positive Ansätze). Tatsächlich gerechtfertigt ist das Prädikat Velostadt hingegen in Münster (Nordrhein Westfalen) oder Freiburg im Breisgau.

Basel hat noch ein, zwei Jahre, um diesen Zug beziehungsweise dieses Bike nicht zu verpassen. Die Ausgangslage ist immer noch gut, aber die Taten sind zu wenig strategisch, zu punktuell und beanspruchen zu viel Zeit. Es braucht einen Ruck, der durch alle Parteien geht für eine Velostadt Basel jetzt!

Erschreckendes Echo – was tun?

Posted on July 19th, 2012, July 19th, 2012 in Uncategorized.

Zürichs Stadtpräsidentin Corine Mauch verkündete vorletzten Samstag in der Live-Unterhaltungssendung «SF bi de Lüt», was sie gerne als Beweis für die Weltoffenheit der Limmatstadt anführt: «In Zürich leben 60% Menschen mit Migrationshintergrund.» Wie kommt das an?

Neben der Integration traditioneller Einwanderer und – neuerdings – von so genannten «Expats», kommt heute die dritte Säule der Integrationspolitik zu kurz: die Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit. ...

Die Zusammensetzung der Basler Bevölkerung ist ähnlich wie jene von Zürich: Ein Drittel Ausländer, ein Drittel Schweizer mit Migrationshintergrund und ein Drittel Schweizer mit Schweizer Vorfahren. Dass der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Basel-Stadt soeben die Marke von einem Drittel erreicht hat, bildete den Hintergrund meiner Kolumne von letzter Woche. Auf dem Blog www.unserekleinestadt.ch löste diese Tatsache neben sachlichen Reaktionen auch erschreckende Tiraden gegen Einwanderer aus.

«Franz Müller» beispielsweise, erinnert sich zuerst an «früher»: «Bunt gemischt hatte es Italiener, etwas Spanier und Jugos, das war’s dann auch schon. Die fielen weder auf noch ab, fast alles ruhige Bürger, die alle brav schafften. Heute? Du meine Güte, so viel Littering allenthalben, farbige Männer, die auch tagsüber herumlungern, was machen die bloss, von was leben die denn?» Selbst wenn sich hinter dem Namen «Franz Müller» ein anonym schreibender Provokateur verbergen sollte: Es ist unbestreitbar, dass so geredet wird.

Ein «Alfred Brand» bringt subjektiv wahrgenommene, negative Entwicklungen in Verbindung mit Ausländern. Die Beweise für die suggerierten Zusammenhänge bleibt er schuldig: «Wenn ich früher am Wochenende um 02.00 Uhr den Bierkeller verlassen habe, konnte ich zu Fuss völlig unbehelligt nach Kleinhüningen gehen. Überfälle? Die gab es damals nicht (oder nur ganz selten), so einfach ist das! Der einzige «Hotspot» war schon damals der Schützenmattpark.»

...Dazu gehört, die Frustrationen und Ängste der Ausländerfeinde ernst zu nehmen. (Bilder: Plakate der Antirassismuskampagne von gra.ch)

«Matthias Bosshard» fühlt sich als Basler isoliert: «Es reden immer alle von Integration, in Wirklichkeit sollen wir uns mittlerweile anpassen.» Manche andere Blog-Beiträge konnten aus Anstand nicht einmal freigeschaltet werden.

Was tun? Verschweigen ist bestimmt die falsche Strategie. Es reicht auch nicht, wie Corine Mauch den Spiess umzudrehen und die Dominanz der Menschen mit Migrationshintergrund als Qualitätssiegel oder Erfolgsfaktor anzupreisen.

In aller Munde ist die Integration traditioneller Einwanderer und – neuerdings – von so genannten «Expats». Die dritte Säule der Integrationspolitik kommt hingegen zu kurz: Die Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit. Dazu gehört, die Frustrationen und Ängste der Ausländerfeinde ernst zu nehmen. Als wirksamstes Mittel gegen Xenophobie identifizierte der Genfer Migrationsforscher Prof. Sandro Cattacin die persönliche Begegnung zwischen Bevölkerungsgruppen aus unterschiedlichen Nationen. Finden diese die nötige Unterstützung?

Massenbewegung mit Umzugswagen

Posted on July 12th, 2012, July 12th, 2012 in Uncategorized.

Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht Basel-Stadt, laut soeben veröffentlichten, neuste Zahlen, einen Ausländeranteil von über einem Drittel, genau 33,8%. Dieser Wert stieg seit Jahren kontinuierlich an. Denn es zogen mehr Ausländer zu als weg und mehr Schweizer weg als zu. Ausserdem sterben viel mehr Eingeborene, weil sie im Durchschnitt deutlich älter sind. Manche von ihnen kamen als Ausländer nach Basel und sterben als Schweizer.

45 000 Menschen zügeln jährlich innerhalb Basel-Stadt oder über die Kantonsgrenze. Während Jahren zogen mehr Ausländer zu als weg und mehr Schweizer weg als zu. Deshalb ist jetzt jeder dritte Basler Ausländer. Ein Meilenstein, der zu denken gibt. (Bild: Matthias Willi)

In einer wichtigen Altersgruppe stellen die Ausländerinnen und Ausländer in Basel-Stadt gar die Mehrheit, und zwar bei den 30- bis 40-jährigen. In dieser Lebensphase bekommen viele Paare das erste und das zweite Kind. Dennoch leben in Basel-Stadt deutlich mehr Schweizer Kinder als Ausländerkinder.

Offenbar sind viele Ausländer in erster Linie zum Arbeiten hier. Oder sie ziehen weg, sobald sie eine Familie gründen. Diese Annahmen werden durch eine weitere Zahl erhärtet: Ab Alter 50 schrumpft der Ausländeranteil drastisch. Es liegt nahe, dass hier Einbürgerungen und Abwanderung eine wichtige Rolle spielen.

Basel dient offenbar nach wie vor als Motor für sozialen Aufstieg. Einmal etabliert, bewerben sich viele Ausländerinnen und Ausländer um den Schweizer Pass. Doch es gibt auch eine harte Selektion: Wer nicht reüssiert, zieht rasch weiter. Davon leben die Umzugsfirmen nicht übel. In den letzten zwölf Monaten beispielswiese, verliessen laut Statistischem Amt rund 13 000 Menschen den Kanton. 14 000 zogen in der gleichen Periode zu. Das ist schon fast eine Massenbewegung. Dazu kommen noch gegen 18 000, die innerhalb des Kantons zügelten. Zusammen sind das 45 000, die eine neue Wohnung suchten, fanden und bezogen. Dies entspricht beinahe der ganzen Kleinbasler Bevölkerung – in einem einzigen Jahr!

Bei Domizilwechseln innerhalb des Kantons waren zwar überproportional viele Ausländer beteiligt, aber die Mehrzahl waren Schweizer. Beim Wegzug über die Kantonsgrenze hinweg, ist die Zahl der Ausländer deutlich höher als jene der Schweizer, obwohl die Ausländer nur einen Drittel der hiesigen Bevölkerung ausmachen. Das heisst: Ausländer ziehen nicht nur fleissig nach Basel, sondern im Vergleich zu den Schweizern etwa drei Mal so häufig wieder weg.

Die nackte Zahl – wir haben jetzt ein Drittel Ausländer – sagt also wenig aus. Es gibt Ausländer, die rasch wieder das Weite suchen und andere, die bleiben. Viele sind hier schon lange etabliert. Ihr Blickwinkel ist wertvoll: Weil sie sich aktiv um Basel bemüht haben, kennen sie den Kanton von einer anderen Seite als Alteingesessene. Diese Ausländer sollten wir ermutigen, Schweizer zu werden. Zum Beispiel, indem sie Gelegenheit bekommen, bereits fünf Jahre vor dem regulären Einbürgerungsdatum mindestens kantonal das Stimm- und Wahlrecht auszuüben.

Einfach leben

Posted on July 5th, 2012, July 5th, 2012 in Uncategorized.

Der Sommer ist die Zeit des leichten Seins. Vieles, das wir haben, ist aus dem Auge, aus dem Sinn: Mäntel, Handschuhe, Skis, Schneeschaufeln, Heizungen, Konserven, Glühwein – Ballast. Aber nötig sind die warmen Sachen und deshalb sorgfältig verstaut. Denn – ob wir’s wahr haben wollen, oder nicht – der Winter kommt wieder. Ein gutes Leben sorgt vor. Sonst beschleicht uns die Angst vor der Zukunft.

Wenn Geist über Geld steht, sind die Voraussetzungen gut, dass wir Ideen, Initiativen und Lebensformen entwickeln, die zukunftsfähig sind. Basel hat die ideale Grösse, um das Leben zu vereinfachen. (Bild: Keystone)

Ob Sommers oder Winters, wir brauchen Dinge. Und da alle Menschen aus dem gleichen Holz geschnitzt sind, ist ihr materieller Bedarf auch ähnlich, könnte man meinen. Stimmt so nicht: Es gibt beispielsweise Leute mit zwei grossen Autos und solche ohne. Manche haben das Gefühl, sie müssten jährlich einmal das Meer sehen – andere kommen nicht ohne Berge aus. Er trägt immer blau, aber nie orange – sie hält es umgekehrt. Es gibt Abba-Aficionados und Beethoven-Bewunderer, und aus diesem Grund DRS1, DRS2 und viele weitere Sender mehr. Wir leben in einer Gesellschaft mit vielfältigen Bedürfnissen und Wahlmöglichkeiten.

Was nach einer banalen Aufzählung tönt, trifft den Kern der Debatte, die wir gerade am Weltrettungsgipfel Rio+20 erlebt haben. Die armen Länder sagten: «Unsere Bevölkerung hat viele Bedürfnisse und wenige Wahlmöglichkeiten. Wir wollen die Ausweitung unserer Optionen nicht bremsen, nur weil es der Umwelt schlecht geht. Zuerst sollen die reichen Länder ihre Wahlfreiheit einschränken, dann folgen wir ihnen.» Das lehnen die Politiker der reichen Länder ab, da sie sonst abgewählt würden. Als Alternative bieten sie die «grüne Wirtschaft» an: In einer effizienten Güterproduktion sowie in einem sparsamen Ressourcenverbrauch sehen sie den Ausweg.

Wohin geht die Reise? Erstens müssen wir anerkennen, dass es unterschiedliche Bedürfnisse gibt. Nicht alle brauchen gleich viel. Aber generell ist es wohl weise, sich auf weniger einzustellen, vor allem auf einen tieferen Material- und Energieverbrauch. Worauf sollen wir verzichten? Die Kunst besteht darin, mehr immaterielle Wahlmöglichkeiten zu schaffen und diesen den gleichen Wert beizumessen wie dem Dinglichen.

Hier liegt Basels Zukunft. Unsere Stadt hat alle Möglichkeiten und das intellektuelle Potenzial zum Lebensgenuss mit weniger Geld und Material. Das pietistisch-protestantische Erbe Basels begünstigt das Sparen. Unsere humanistische Tradition inspiriert uns zum sozialen Ausgleich, aber auch zur Freude an der Debatte, an Kunst und Wissenschaft. Konsum und materieller Besitz stehen als Statussymbole seltener als anderswo im Vordergrund.

Wenn Geist über Geld steht, sind die Voraussetzungen gut, dass wir Ideen, Initiativen und Lebensformen entwickeln, die zukunftsfähig sind und den gordischen Knoten von Rio+20 durchtrennen helfen. Basel ist eine Stadt der kurzen Wege. Abwechslung ist leicht, auch dank der Grenznähe. Das Kulturleben und die Bibliotheken, der öffentliche Verkehr und die Spielplätze sind von hoher Qualität. Wo denn, als hier, lässt’s sich einfacher leben?